Chapati Holiday für jeden!
Einen schönen Tag auf dem ehemaligen Gelände von “better days for Moria”
Hallo Freunde,
Der Winter steht vor der Tür und bald ist Weihnachten.
Wir, die No Border Kitchen sind nach wie vor aktiv auf Lesvos und wir versuchen immer noch das wichtigste zur Verfügung zu stellen. Menschenwürde
Der 24. Dezember wird überall auf der Welt gefeiert, um an einen Mann zu erinnern, der einst durch die Welt wanderte. Dabei wollte er Liebe, Toleranz, Frieden und Vergeben verbreiten.
Weihnachten ist das Fest der Liebe.
Wir möchten euch gern ALLE einladen am 24.Dezember 2016 Weihnachten mit uns auf Lesvos zu feiern. Direkt neben dem Camp unserer Freunde, auf dem ehemaligen Gelände der “betterdays for moria”. Für einen Tag wollen wir die Menschenwürde an alle in diesem Lager absolut niemand ausschließen. Wir alle haben auf dieser Insel – für mehr oder weniger Zeit – unsere eigenen Erfahrungen auf dieser Insel gesammelt und jeder von uns hat eine einzigartige Geschichte zu erzählen. Ob es unsere Freunde aus der ganzen Welt sind, die ein besseres Leben erreichen möchten oder die Tausende von Freiwilligen, Ärzten welche für die Regierung arbeiten, Polizei oder Feuerwehrmann, NGOs oder Unabhängige, alle Bewohner dieser Insel. Alle, die versuchen in dieser Situation zu helfen und etwas dazu beitragen.
Bis heute kochen wir immer noch Hunderte von Mahlzeiten jeden Tag. Wir versuchen jedem zu helfen, der versucht, uns zu erreichen. Wir versuchen unser Bestes, alles zu einem bestimmten Zeitpunkt zu managen. Aber um für 6000/7000 Menschen zu kochen – dafür brauchen wir eure Hilfe!.
We want to make christmas great again. Jeder darf etwas wieder gut machen. Also wollen wir den 24. Dezember mal wieder groß machen.
Wir freuen uns über Ihre Unterstützung. An diesem Tag geht es nicht um Politik. Es geht um Teilen und füreinander sorgen, wie es einst beabsichtigt war.
Wir würden uns über Ihre Unterstützung wirklich freuen. Fühlen Sie sich frei, Geld, Essen oder Infrastruktur zu spenden. Wir würden uns freuen, Sie persönlich hier zu haben. Ehrlich. Das wäre das größte Geschenk.
Wenn Sie jemanden kennen, der unsere Bemühungen unterstützen möchte, dann teilen Sie diesen Beitrag.
Im Folgenden eine persönliche Anekdote von einem unserer vielen, vielen Freunden. Wir haben alle unsere persönliche Geschichte zu erzählen. Aber diese dürfen wir mit allen Menschen teilen.
Nehmt euch ein wenig Zeit und lest euch den Text durch. Denn genau das spiegelt die Situation und die Arbeit der No Border Kitchen wider.
Fröhliche Weihnachten
Liebe & Frieden
Nbk
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Lesbos. Ein vergessener Fleck Erde.
Abends sitzen wir am Ufer und schauen in die Türkei rüber. Immer wieder erreichen uns Nachrichten: 33 Tote diesen Morgen. Davon 12 Kinder. Nur 12 km trennen a dieser Stelle Griechenland von der Türkei, an anderen sind es nur 6. Vier verschieden Boote patroulieren vor der Küste. Griechische und türkische Küstenwache, Frontex und Nato. Zur „Sicherung“ der europäischen Außengrenzen.
Trotzdem ertrinken immer wieder Menschen.
So nah scheint das türkische Ufer wenn man Abends vom Strand aus das glitzern der Lichter auf der anderen Seite sieht. Für uns Europäer sind es auch nur ein paar wenige Kilometer, 6 € mit der Fähre, weniger als eine Stunde Fahrt.
Für solche allerdings, die das Pech haben, im „falschen“ Land geboren worden zu sein, ohne europäische Papiere kostet die Fahrt 1500 € und viel Adrenalin, Panik, Ungewissheit ob man in dem engen Schlauchboot bis ans andere Ufer kommt. Oder ob die Wellen der Fähre das Bötchen zum Kentern bringen.
Mit einem Freund sitze ich später unter Feigenbäumen im Schatten. Unter Tränen, zitternd erzählt er mir, wie ihn jede Nacht die gleiche Frau in seinen Träumen heimsucht. Die Frau, der er versprach, auf ihre Kinder aufzupassen bei der Überfahrt. Kurz nachdem sie abgelegt haben von der türkischen Küste passiert es. Das Letzte an was er sich erinnert sind die verzweifelten Schreie der Mutter, markdurchdringend. Das dünne Ärmchen der vierjährigen Tochter, der kleine Bruder schon verschluckt von der Schwärze des Meeres, welches die kleinen zerbrechlichen Körper einfach umschlingt und fortreisst.
Wie viele Menschen hier wohl am Meeresgrund liegen?
„Endlich geschafft“ denken die, die neu auf der Insel ankommen. Glücklich darüber noch am Leben zu sein.
Dann redet man mit denen, die inzwischen seit teils acht Monaten dort festsitzen. In Moria, dem berühmt berüchtigten überfüllten Registrationslager leben sie, auf dem staubigen Boden, kleine Zelte reihen sich aneinander. Der Tag besteht daraus, stundenlang in Essenschlangen auf eine kleine Portion zusammengeklebter Nudeln zu warten – obwohl viele Menschen dort eigentlich keine Nudeln essen. Jeden Tag kommt es zu Kämpfen. Die Menschen ohne Aussicht, unwissend was in den nächsten Monaten und Jahren wohl auf sie zukommt. Sie stecken fest, auf einer vergessenen Insel. Traumata, schreckliche Erlebnisse, verschollene Familienteile, Kriegserfahrungen, Missbrauch, weinende Mütter,…alle sind sie belastet. Jeder mit seiner eigenen Geschichte am hadern, auf engem Raum zusammengepfercht.
Einmal Nachts sitzen wir zusammen am Strand mit Lagerfeuer und Bratkartoffeln.
Ein Freund in Moria ruft an, es ist zwei Uhr nachts. …Kämpfe…Moria…Feuer…es Rauscht, knackt in der Leitung, dann bricht die Verbindung ab. Nur Bruchstücke haben wir verstanden doch es reicht um zu wissen was los ist. Wir springen in unseren Van, fahren sofort los nach Moria. Hinten durch den Wald nähern wir uns dem Camp. Gesehen werden von Polizei oder Frontex dürfen wir auf keinen Fall. Wir schleichen zu viert durch den Wald, Gruppen von Afghanis lauern mit Metallstangen bewaffnet am Weg, etwas weiter oben eine Gruppe Pakistani, gleicher Anblick. Alle fragen sie misstrauisch woher wir sind, was wir machen. Mit einem Freund krieche ich durch ein Loch im Zaun, rein nach Moria. Dicke Rauchschwaden hängen in der Luft. Einige Zelte brennen noch, es stinkt nach verbranntem Plastik. Angespannte Stimmung, angriffslustig, verängstigt, wütend, verzweifelt,…alles mischt sich.
Menschen mit gebrochenen Beinen, blutüberlaufene Gesichter. Aphathische Blicke, aufgeregte heiße Diskussionen, ein weinendes Kinder im Arm seines Vaters, der versucht ihm die Augen zu zuhalten. Ihm den Anblick zu ersparen.
Wir tragen Menschen aus dem Camp, zurück durchs Loch im Zaun, ein Freund hat das Auto geholt und wartet auf uns. Allerdings haben die meisten Angst, dass sie allein auf mit Stöcken und Steinen bewaffnete verfeindete Gruppen treffen werden. Einige Verwundete können wir überzeugen mitzukommen. Wir bringen sie zum Ärzte-Zelt, eine Großfamilie nehmen wir mit und organisieren ein Platz für sie im Familiencamp.
In den nächsten Tagen ist die Straße vor Moria voller Menschen, viele trauen sich nicht mehr zurück ins Lager und übernachten stattdessen davor.
„Wir“ das ist die No Border Kitchen Lesvos“. No Border Kitchen ist ein Konzept, eigentlich eine Idee, nach der sich Menschen jeden Geschlechts, jeder Sexualität, Hautfarbe, Religion oder Rasse an verschiedenen Hot Spots in Europa organisieren um unterstützende Strukturen aufzubauen.
Unsere Grundsätze: No homophobia, no sexism, no racism.
Unser Ziel: No Borders, No Nations.
Jede Gruppe organisiert sich selbst, jeder der kommt hat gleiches Mitspracherecht. Entschieden wird nach stundenlangen Diskussionen in unseren Meetings im Konsens.
Finanziert werden die Projekte rein aus privaten Spenden. Deshalb kämpft man zusätzlich zu den tagtäglichen Problemen auch noch darum, finanziell über die Runden zu kommen.
Als ich ankomme wurde das No Border Kitchen Camp gerade geräumt, die Gruppe ist am Boden zerstört, viele sind gegangen. Es gibt keinen Platz mehr wo wir hin können. Wir schlafen die ersten Nächte alle sieben in unserem Van. Dann finden wir ein altes Militärgelände, ein riesiger Hof, ein wunderschönes altes Gebäude, eine große Halle, viele kleine Zimmer,…es scheint perfekt. Ideal für ein Social Center, eine Tagesstätte wo Menschen zusammentreffen können, ein Raum für jeden, unsere Griechischen Nachbarn und Freunde, Geflüchtete und Migranten, Aktivisten und Touristen.
Wir ziehen ein, beginnen tagelang den Schutt aus den Räumen zu schaufeln, nass geschwitzt und schwarz vom Staub sitzen wir abends zusammen und besprechen was ansteht.
In der Frage ob ein neues Camp zu eröffnen unser Ziel ist, kommt es innerhalb der Gruppe zu heftigen Auseinandersetzung bis wir kurz für ein paar Tage nur noch zu dritt da sind, fest entschlossen weiter zu machen.
Lesbos ist eine magische Insel, das Leben geprägt von Hoch und Tiefpunkten. Manchmal erlebt man innerhalb weniger Stunden beides, doch selten geschieht einen ganzen Tag einfach mal nichts außergewöhnliches. Situationen und Entscheidungen können sich innerhalb kürzester Zeit verändern. Hier ist Politik Alltag und Alltag Politik. Das ist es, was das Leben hier so spannend aber so schwierig macht. Zerrissen zwischen Grundsätzen, im Zwiespalt zwischen politischer Arbeit und humanitärer Hilfe.
Einer der Hochpunkte ist, als sich nur wenige Tage nach dem unsere Gruppe auseinander gebrochen ist plötzlich die Möglichkeit ergibt, unsere Küche wieder aufzubauen. Die Euphorie darüber steckt noch andere an, die mit anpacken und nach einigen anstrengenden Tagen steht unsere Küche wieder.
Wir beginnen zu kochen: 600 Portionen die wir an die im Wald lebenden Menschen und auf der Strecke nach Moria verteilen. Bei 45° C stehen wir an den großen Brennern in der Küche und es wird gearbeitet. Manchmal mit lauter Musik, wobei die Musikwahl meistens im Streit endet. Unsere Pakistani Freunde kommen jeden Tag mit in die Küche, ihr Kochkünste stellen jeden noch so bemühten Versuch europäischer Aktivisten bei weitem in den Schatten.
Auch während Rhamadhan, obwohl sie weder Essen noch trinken dürfen. Drei Tage versuche ich mich am Fasten, mit Sondererlaubnis trinken zu dürfen kämpfe ich mich durch den Tag. Dafür ist der Moment am Abend, wenn man auf dem Boden im schummrigen Raum um die Schalen in der Mitte sitzt und erwartungsvoll auf das Fastenbrechen wartet umso schöner. Beim Essen wird geschwiegen. Essen ist etwas wertvolles, sprechen währenddessen ist unhöflich.
Zu dieser Zeit komme ich manchmal gerade dann von Email- und Hompage-Nächten nach Hause, wenn um vier Uhr Morgens schon wieder die Frühstücks-Chapati gebraten werden.
Die Brüderlichkeit der Menschen hier untereinander ist eine gänzlich neue Erfahrung. Sorry und Danke – absolute Tabu-Wörter. Sie teilen und geben was sie haben. Von diesen Menschen, können wir viel lernen, sehr viel. Vielleicht sind sie nicht Exportweltmeister, aber in jedem Fall haben sie eine gesündere Gesellschaft, ein Wert der Menschen zusammenhält steht bei ihnen groß: Solidarität und Brüderlichkeit.
Unsere erste Essensausgabe bringt ein unglaubliches Hochgefühl mit sich.
Knapp zwei Wochen nachdem die Brenner endlich wieder brannten kommt es durch eine besonders aufwändige Kochung dazu, dass wir fast 3 Stunden zu spät an die Treffpunkte kommen. Als wir die Straße nach Moria einbiegen sehen wir sie. Eine Schlange, trotz der langen Verspätung noch über hundert Meter lang, im Regen stehen sie da, als wir um die Ecke biegen bricht Jubel aus, einige rennen winkend neben uns her. Die Leute organisieren sich selbst in einer ordentlichen Schlange. Es kommt nicht ein einziges Mal zu einem der von uns befürchteten Essenskämpfe.
Trotzdem entscheiden wir uns nach einer Weile schweren Herzens kein Essen mehr nach Moria zu bringen, da wir das System nicht unterstützen können und wollen. Ein Konflikt zwischen Humanitärer Hilfe und politischen Grundsätzen wieder mal. Diese zwei Komponenten waren immer immer zwei Fronten, ein Zwiespalt, angenähert: ein Kompromiss. Ein schmaler Grad an dem wir uns entlang zu hangeln übten.
Unser wichtigster Grundsatz – alle sind gleich; es gibt keinen Unterschied zwischen „denen“ und „uns“ – wurde zu unserem meist diskutierten Dilemma…“wer darf zum Schlafen in dem besetzten Haus bleiben (wir wollten kein Camp), bleibt überhaupt jemand zum Schlafen, wenn Polizei kommt, was machen wir mit denen die sowieso schon in einer kritischen Lage sind, …als wir aus merkwürdigen Quellen erfahren dass es zu einer militärischen Räumung kommen soll, steht die Frage im Raum wer lieber zur Sicherheit das Gebäude über Nacht verlassen sollte…Wir haben immer Angst, dass den Geflüchteten und Migranten eben doch mehr passieren kann, was auch die nackte Realität ist. Trotzdem behandeln wir sie dadurch anders, was uns wieder an das ursprüngliche Dilemma bringt, dass eigentlich alle Menschen als gleich gesehen und behandelt werden sollen.
Entscheidungen wurden getroffen und wieder umgeworfen oder eben auch einfach wieder vergessen. Manchmal hat eine seltsame Gruppendynamik Bewegungen losgelöst, die alle mitgerissen haben bis plötzlich Ereignisse uns wieder wachgerüttelt haben. Meinungen Einzelner und der Gruppe haben sich manchmal innerhalb kürzester Zeit (in Teils wenigen Stunden) geändert, komplett gedreht Weil sich hier eben alles immer auf der Stelle ändern kann und wenig bleibt auch nur kurze Zeit wie es erwartet wird. – Ich persönlich war ganz vorne mit dabei – wofür ich mich oft geschämt habe und auch noch immer schäme.
In manchen Momenten war die Motivation wie positiv geladenen Luft, die jeder einatmete und dann kam ein Windstoss und trug die wohlig warme Luft einfach hinfort. – Mit einem Schlag war dann das Knistern in der Luft, das leichte Flimmern und Flirren einfach weg und jeder brach für sich im Stille in sich zusammen. Dann musste man sich wieder aufrappeln und weitermachen.
Wir haben versucht lokale Unterstützung zu bekommen. Haben eine Unterschriftensammlung mit hunderten Signaturen zur Alphabank gebracht – alle haben sie unsere Arbeit unterstützt und befürwortet. Und trotzdem hat das Negative ein so viel stärkeres Rückrad – oder vielleicht auch einfach eine grössere Meute, die aus Angst selbst zum Opfer und Verlierer werden zu können, sich lieber den grossen starken anschliessen. Menschen Angst und Abwehrverhalten einzureden ist so viel leichter als Hoffnung und Menschlichkeit. Das ist wohl menschlicher als Menschlichkeit.
Unsere Gruppe Wuchs an, von vier wurden wir zu 10, dann zu 30,…immer wieder kamen Neue, die meisten für 2-3 Wochen, Leute von überall, Punks neben ehemaligen Lehrern, junge Studenten, Rentner, Arbeitslose, Psychologen,…eine wild gemischte Gruppe. Sehr interessante Menschen.
Und immer verbindend – die Solidarität.
Nachdem wir nicht mehr vor Moria essen austeilten, gab es weniger zu tun in der Küche und wir beschlossen, wieder das Social Center Projekt in Angriff zu nehmen.
Wochenlang wurde gebaut, geputzt, Bauschutt geschippt, gemalt, gekocht, Informationsbroschüren geschrieben, Kleiderspenden gesammelt,….wie ein geschäftiger Ameisenhaufen lebte das Projekt plötzlich auf. Wurde lebhaft und Energiegeladen.
Nebenher versuchten wir, das Gebäude legal von dem Besitzer, der Alpha-Bank zu erwerben. Lange Schreiben, Treffen, Anwaltsgepräche. Immer wieder tauchte die Polizei auf, inzwischen konnten wir kaum noch ungesehen durch das aufgebrochene Tor auf die Straße schlüpfen.
Viel was wir hier machten, war nicht unbedingt mit dem Gesetz vereinbar – Doch jede Anstrengung, jede Option die wir ausprobiert haben und voller Elan und Motivation auf etwas zugearbeitet haben, wurde aus einer guten Motivation heraus gemacht. In jedem sinne solidarisch. Für jeden, der den Wunsch nach einer sozialeren, gerechteren, ehrlicheren und gleicheren Gesellschaft teilt. Und dafür auch bereit ist etwas abzugeben.
Vier Tage. Nach all der Vorbereitung schaffen wir es, insgesamt vier Tage offen zu sein. Bevor wir in einer Räumungs- und Zerstörungswelle sozialer Projekte in Griechenland aus dem Gebäude gezwungen werden.
Vier Tage in denen hunderte Menschen kommen, ihren Tag in dem kühlen Gebäude verbringen, Spiele spielen, sich ausruhen, Handys laden, Essen und Trinken,…Im Frauenbereich wird gelacht und getratscht – seit Monaten das erste Mal, das die Mütter einen Moment Zeit unter sich haben.
Und die Kinder. Ich werde niemals das Strahlen in den Augen der Kinder vergessen. Kinder, die hinter Stacheldrahtzäunen in Moria leben, entflohen aus zerbombten Kriegsgebieten. Und dann sitzen sie da, malen, basteln, turnen über Rutsche und Schaukel im Kinderbereich, lachend durch die Halle stolpernd, stolz präsentieren sie ihre neue Schuhe aus unserem Free-Clothing Store. Auf vielen der Bilder die sie malen, sieht man die bunten Girlanden, die aus angesprühten Dosen gebaut wurden und an den Decken hängen.
Ein Social Center – „das ist ja wohl wirklich nicht überlebenswichtig“ – könnte man sich denken. Aber was dieses Center wirklich bedeutet hat, die wenigen Tage die es geöffnet war, kann man nur begreifen wenn man es selbst erlebt hat. Hier war eine Zuflucht für alle, besonders ein Erlebnis für diese zarten Kinder, die in ihren wenigen Jahren auf der Erde schon so viel mehr erlebt und durchgemacht haben, als die meisten von uns jemals durchleiden müssen.
Das Leben hier auf Lesbos reduziert sich auf das Essentielle. Eine sehr bereichernde Erfahrung. Kein fließendes Wasser, kein Strom, all das nicht was das Leben bei uns so schön einfach macht. Betten, Duschen,…was für uns hier normal ist, war dort nicht einmal Thema, weil es wichtigeres gab. Geschlafen wurde auf Decken in dem Gebäude, später unter freiem Himmel am Strand. Als wir endlich nach Monaten Wasser finden, gibt es eine kleine Party – ein weiterer dieser Hochpunkte. Und doch war das Leben mit so wenig, so viel reicher, so viel wertvoller…
Ich habe lange überlegt noch ein weiteres Jahr zu bleiben und bis heute bereue ich jeden Tag, dass ich von der Insel gegangen bin.
Wieso fixieren und definieren wir uns über so viel Materielles und sind dafür bereit unsere Persönlichkeit stückweise aufzugeben? Sicherheit über Freiheit, Wohlstand über Menschlichkeit,…?
Nach drei Tagen hatten wir ein weiteres langes, anstrengendes Treffen mit dem Alphabankmanager und unserem Anwalt. Stundenlange Diskussionen – Obwohl schon von Anfang an klar war, dass sie uns raus haben wollten. Dienstagmorgen stehen 20 Polizisten plötzlich im Gelände. Wir sind von ihnen Umzingelt. Es dauert Stunden, Telefonate mit dem Anwalt, ein befreundetes griechisches Paar kommt sofort und unterstützt uns…wir können aushandeln, dass wenn wir das Gebäude bis zum Abend verlassen werden, keiner verhaftet wird. Nachts öffnen wir wieder das zugenagelte Tor. Einen weiteren Tag geöffnetes Social Center können wir uns dadurch garantieren.
Dann kommen sie wieder und schweissen das Tor zu. Mit Bannern sitzen wir währenddessen auf dem Dach des Gebäudes, ein stiller Protest. Vorbereitet auf alles, Tränengas, gewaltsame Festnahme, aber es passiert wenig. Es tut weh, all das aufzugeben, was so viele Menschen so glücklich gemacht hat.
In den folgenden Wochen ziehen wir auf den Strand vor unserem ehemals besetzten Haus, in dem wir noch immer ein und ausgehen und auch immer mehr Menschen aus Moria leben, wo wir Kaffe und Tee für die Zeltstätte auf dem Strand vorbereiten und unsere Haarschneide- und Färbe Salon eröffnen – allerdings durch ein Loch in der Mauer.
Aus unserem Protestcamp am Strand wird ein lebhaftes Social Center.
Die Schwerpunkte verschieben sich. Plötzlich besteht der Alltag nicht mehr aus putzen, bauen, räumen und kochen – vielmehr sitzen wir stundenlang mit den Leuten zusammen. Üben English, oder reden einfach. Es entsteht ein Raum in dem sich die Menschen wohl fühlen, Vertrauen fassen, sich fallen lassen und einfach mal ihre Geschichte erzählen können. Es ist so wichtig einfach mal jemandem davon erzählen zu können, die Last teilen, nicht den ganzen Schmerz, die Scham, die Trauer,…alles hinunter zu schlucken, in sich hineinzufressen.
Ein junger Mann, den ich seit einigen Tagen immer wieder bei uns sehe, kommt einmal zu mir und bittet darum, unseren Laptop benutzen zu können Seit kurzem haben wir einen eigenen– eine Spende aus Hamburg. Ich bringe ihm den Computer und will schon wieder los springen, den tausend Sachen hinterher, die es zu tun gibt. Mit schüchtern gesenktem Blick, die Stimmt brüchig, bittet er mich, sich kurz neben ihn zu setzten. Er öffnet eine Datei auf seinem Stick. Videos von einer bildhübschen Frau, flackernde Kerzen und Herzluftballons. Dann tritt der neben mir sitzende Afghani ins Bild, haucht ihr einen Kuss auf die Wange…Danach folgen viele Bilder von den zweien. Ich höre das leise Schluchzen von ihm während er sich durch die Ordner klickt. So sitzen wir eine Weile da, Tränen laufen über sein Gesicht – sie ist noch in Afghanistan. Aus religiösen und familiären Gründen dürfen die Zwei nicht heiraten. Liebe ist sein Grund nach Europa zu kommen, Liebe der Auslöser, dass die kleine Hoffnung in Europa seine Frau des Lebens heiraten zu können groß genug ist um all diese Strapazen auf sich zu nehmen.
Ein anderer Freund erzählt mir, wie er sechs Jahre im Iran im Gefängnis gefoltert wurde. Immer wieder so lange, bis er ohnmächtig wurde. Tiefe Narben entstellen von vielen Gesicht und Körper. Andere wollen einfach frei sein. So frei, wie wir es alle sind ohne jemals dafür gekämpft zu haben. Ist das denn nicht ihr gutes Recht?
Aber es gibt eben auch die anderen Momente, es sind viele Abende an denen wir am Strand sitzen und Musik machen, eigentlich jeden Abend. Befreundete Musiker bieten an ein kleines Konzert zu geben. Es gibt Getränke und Snacks, Podeste und Decken werden vorbereitet. Bis spät nachts sitzen wir um die Musiker, Tanzen, Singen, Klatschen. Es wird gelacht, getrunken, ausgelassene Stimmung, vergessen scheint alles um uns herum. Diesmal sind wir es, wir – alle die diesen Abend miteinander erleben – die in unserer kleinen Blase der Sorglosigkeit schwelgen, sich fallen lassen. Es ist eine wilde Party, mit den Roma-Kindern tanzen wir um ein kleines Feuer, dass wir am Strand entfacht haben,…es ist wie ein Traum. Bis spät in die Nacht schallt das Gelächter durch die Nacht.
Viele Abende verbringen wir Gitarre spielend und singend am Wasser. Ein anderes Mal tanzen wir bis zur Morgendämmerung bei einer Uni-Party im strömenden Regen, wirbeln über Tanzfläche, das Wasser spritzt, die Stimmung ausgelassen und frei.
Manchmal ist eben auch hier das Leben ganz normal.
Trotz allem ist das Social Center nicht mehr das gleiche wie im Gebäude. Der sengenden Sonne, Sturm und Regen ausgesetzt campieren wir am Strand, schlafen draußen und nachts sind immer einige wach um aufzupassen.
Nicht müde zu werden gegen Widerstand von allen Seiten anzukämpfen, von all dem scheinbar aussichtslos zu durchbrechendem System, das ist wahrscheinlich das anstrengenste.
Auch von diesem Strand werden wir wieder vertrieben. Katz und Maus spiel mit den Behörden. Wenn man mit den Polizisten so spricht, merkt man, dass es vielen von ihnen schwer fällt uns aus dem Gebäude zu werfen. In einem Gebäude das Jahre lang leer stand und nun weiter verwahrlosen und verfallen wird, gab es einen Moment in dem etwas wundervolles am entstehen war, ein magischer Moment, der die Ruine wiederbelebte.
Wir finden wieder einen neuen Strand, kämpfen uns durch den Alltag. Ich bin vor einigen Wochen von der Insel weg gegangen. Eigentlich kann man nicht gehen, nie. Weil es nie ein Ende der Arbeit gibt, die getan werden muss. Aber dort am Strand sind sie noch und machen weiter, neue Menschen kommen, andere gehen. Das ist das Leben auf Lesbos.
Magisch, anstrengend, wechselhaft, begeisternd, erschütternd, auslaugend, eindrucksvoll, mitreissend…
Und Abschiede gehören zum Alltag. Jeden Sonntag haben Freunde versucht in die Container zu kommen. Manchmal saßen sie über 16 Stunden zusammengekauert zwischen Autoreifen und schweren Metallstangen in den Containern und Trucks, haben versucht ruhig und unbemerkt auszuharren – bei größter Hitze, ohne Wasser, ohne sich nur einen Zentimeter bewegen zu können. Dann kamen sie manchmal nachts um vier nach Hause in unser besetztes Haus. Blaue Flecken und Schwellungen zieren ihre Körper unschön – die Polizei hat sie gefunden. Wieder mal.
Es gibt eine Zeit, da packt eine Panik-Welle die Leuten auf Lesbos. Als Idomeni aufgelöst wird und viele Menschen in sogenannte Detention-Centers gebracht werden. Ohne Kontakt zur Außenwelt leben sie dort, weder Familie noch Freunde oder Freiwillige dürfen sie besuchen. 30 Menschen in einem Zimmer, Polizeiüberwachung 24/7, Kameras und Handys werden abgenommen. Aus Mytilene, der Hauptstadt Lesbos’ verschwinden auf einen Schlag über 60 Leute einige gute Freunde unter ihnen. Später erfahren wir, dass sie aufgrund vorgeschobener Beschuldigungen dort für die nächsten Monate in Detention-Centers leben müssen. Einige in diesen Centern sitzen dort schon seit über einem Jahr fest. Es geht viel vor sich hier in Griechenland, hinter den Vorgängen steht die unverwechselbare Handschrift europäischer Flüchtlingspolitik.
Es sind nicht die boshaften Griechen, viele der Griechen auf Lesbos sind ganz wunderbare Menschen, die meisten haben selber durch die sinkenden Touristenzahlen und die generelle wirtschaftliche Lage zu kämpfen und trotzdem erlebe ich hier eine überwältigende Gastfreundschaft und Herzlichkeit.
Geht man abends durch die Straßen der Stadt, spürt man das Pulsieren des Lebens, schicke Touristen, laute Musik, Bier und Wein. Das Leben findet auf der Straße statt.
Diese Zeit hier auf Lesbos ist mit Sicherheit für jeden eine wichtige Lehre fürs Leben.
Man lernt viel Neues, viel über andere Menschen und andere Lebensstiele, Gedanken und Perspektiven. Wenn man sich rauswagt um andere Perspektiven, andere Welten zu erleben realisiert man plötzlich, dass man selbst wenn man ein Leben lang reisen wird, nur einen winzig kleinen Teil des Komplexes „Leben“ erfahren und begreifen wird.
Aber besonders kommt man an die eigenen Grenzen und lernt viel über sich selbst.
Irgendwann hat mich hier mal eine erschreckende Gleichgültigkeit überkommen, was mich persönlich betrifft aber auch die gesamte Situation.
Am Strand zu schlafen oder drinnen, geklaute Handys und Generatoren, Räumung und Polizeiauftritte, Gespräche mit Anwälten, Lokals, Alphabank,…irgendwann war die emotionale Müdigkeit so enorm, dass sich kaum noch etwas geregt hat in mir. Vielleicht ist das auch eine Möglichkeit, ein Trick der Machthaber Bewegungen ihre Kraft, ihren Motor zu nehmen.
Die Zeit ihre Dienste tun zu lassen. Die Zeit Arbeiten zu lassen.
Das was nach all der Zeit bleibt sind Freundschaften, tiefe Freundschaften, die teils ohne gemeinsame Sprache aber durch ein ehrliches inneres committment, durch eine gemeinsame „Seele“ entstanden sind.
Diese Freundschaften sind nach allem das was bleiben wird. Vielleicht ist das der Weg Dinge zu bewegen – wie im Buddhismus die Lehre über das glückliche „Ich“, dass nur so anderen Glück geben kann und somit wie ein Stein der eine Seeoberfläche berührt Kreise schlägt – erst klein, dann immer grösser werdend.
Diese Freundschaften, die ein starkes unzertrennliches Band bilden, egal welche Zäune errichtet und welche Projekte zerstört werden. Egal wie die Außengrenzen aufgerüstet und beschützt werden – diese Freundschaften und ihre Kraft werden bleiben, da sie stärker sind.
Das ist was Hoffnung und die Kraft weiterzumachen am Leben hält und eines Tages wird es wohl die Kraft sein, die die Fesseln sprengt. Eines Tages werden vielleicht diese Freundschaften zusammen ein so starkes Netz bilden, dass eine soziale Bewegung unaufhaltbar wird.
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Kommentar: NBK Lesbos Weihnachten
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